Amazon erweitert sein Shopping-Angebot in Deutschland um ein neues Format namens „Amazon Haul“. In einer Beta-Version über die Shopping-App verfügbar, zielt das Feature auf Kunden ab, die besonders günstige Produkte aus Kategorien wie Fashion, Lifestyle und Wohnen suchen. Tausende Artikel kosten unter 20 Euro – viele sogar weniger als 10 Euro, einige ab nur 1 Euro. Doch hinter dem scheinbar simplen Schnäppchen-Ansatz steckt eine tiefgreifende Änderung des Plattformmodells: Der gezielte Ausbau von Factory-to-Consumer (F2C)-Vertrieb über Amazon.
Amazon beschreibt das Haul-Angebot als smartes, inspirierendes Einkaufserlebnis. Nutzer finden die neue Funktion direkt in der App – mit eigener Suche, separatem Warenkorb und auf besonders niedrige Preise zugeschnittenen Angeboten. In den internationalen Märkten wie den USA und Großbritannien basiert Amazon Haul bereits stark auf kurzen, mobilen Produktvideos im Stil von TikTok oder Instagram – dort zeigen Influencer ihre Lieblingsprodukte und kuratierte Empfehlungen. Ob dieses videobasierte Format in Deutschland vollständig übernommen wird, bleibt aktuell offen, ist aber angesichts des international identischen Namens und Konzepts sehr wahrscheinlich.
Tatsächlich stammen viele der vorgestellten Produkte direkt von asiatischen Herstellern, die über das F2C-Modell ohne Zwischenhändler an europäische Endkunden verkaufen. Das bedeutet: Produzenten aus China können ihre Artikel über Amazon zu Kampfpreisen anbieten – häufig ohne EU-Lager, mit verlängerten Lieferzeiten und geringerem Serviceaufwand. Für Amazon ist das profitabel: Die Margen sind höher, die Kontrolle über Sortiment und Preisgestaltung steigt.
Für Marketplace-Händler dagegen bringt Amazon Haul erhebliche Risiken. Während sie sich mit Mehrwertsteuer, Lagerhaltung, Verpackungsgesetz und Kundenservice in deutscher Sprache auseinandersetzen müssen, gelten für F2C-Angebote aus Fernost oft niedrigere Standards. Besonders problematisch: Die neue Sichtbarkeit, die Amazon diesen Angeboten über das Haul-Format verleiht – prominent platziert in der App, mit Sonderrabatten und attraktiven Versandbedingungen (z. B. kostenloser Versand ab 25 Euro, reduzierte Preise bei Bestellwerten ab 50 Euro).
Brisant ist auch der psychologische Effekt: Wenn Amazon das Haul-Feature als festen Bestandteil der App etabliert, gewöhnen sich Kunden an ein Preisschild im Bereich von 1 bis 10 Euro. Das setzt etablierte Seller weiter unter Druck und fördert eine Rabattschlacht, die sich nur noch über Masse und Direktimport finanzieren lässt.
Amazon selbst beschreibt das Angebot als Antwort auf Kundenwünsche nach günstigen Produkten. Country Manager Rocco Bräuniger spricht von einem „bekannt zuverlässigen Einkaufserlebnis“ – mit kostenlosen Retouren, Bewertungen und dem gewohnten Amazon-Service. Tatsächlich könnte das Haul-Modell die Kundenbindung kurzfristig stärken, langfristig aber die Vielfalt und Qualität auf dem Marktplatz gefährden.
Denn wenn Händler mit Fokus auf Markenaufbau, Nachhaltigkeit oder Innovation zunehmend gegen Ein-Euro-Produkte konkurrieren müssen, bleibt für Differenzierung wenig Raum. Der nächste Schritt ist damit eingeleitet: eine Plattform, die sich schrittweise vom partnerschaftlichen Marktplatz hin zu einem kontrollierten, margenorientierten Direktvertrieb entwickelt.
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